Interview

Benedikt Schwan zu "Ohnekind"

Buch Ohnekind "Ohnekind" behandelt ein noch immer stark tabuisiertes Thema: Zeugungsunfähigkeit beim Mann. Sie selbst sind betroffen. Was erwartet den Leser? Wie gehen Sie das Thema an?

Das Buch versucht, einerseits eine persönliche Geschichte – meine eigene – zu erzählen, um Beistand und Trost für Betroffene durch ein Wiedererkennen zu spenden, sofern das überhaupt möglich ist. Es will aber andererseits auch Ratgeber sein für andere Männer und ihre Frauen, die in der gleichen Lage sind. Ich berichte, was Unfruchtbarkeit beim Mann medizinisch eigentlich bedeutet, welche Prozesse es gibt, womöglich doch noch Vater zu werden und welche psychologischen und sozialen Folgen Sterilität bei uns Männern hat. Ich versuche aber auch, den Blick auf die gesellschaftlichen Auswirkungen zu richten.

Wie ist die Idee zu dem Buch entstanden?

Anfangs ging es vor allem darum, für mich selbst mit der Diagnose klarzukommen und das habe ich schreibend versucht. Ich neige dazu, an Probleme analytisch ranzugehen, was wohl mit meinem journalistischen Hintergrund zu tun hat. Erstmal alle verfügbaren Fakten sammeln, dann kann man alles immer noch bewerten und einordnen. Ich wollte mir klar werden, wie ich fühle und ein bisschen auch, wer ich jetzt nach der Diagnose Sterilität eigentlich (noch) bin als Mann. Zudem gibt es aus männlicher Perspektive zu dem Thema fast nichts, weil viele Angst vor dem Tabu haben.

Benedikt Schwan Ich hoffe, dass ich eine Debatte auslösen kann, denn viele Männer leiden still vor sich hin. Bei den Recherchen wurde mir dann schnell bewusst, dass wir es hier mit einem echten Weltproblem zu tun haben, denn die Fruchtbarkeit beim Mann nimmt rapide ab. Wir müssen da dringend etwas tun und ich stelle schließlich auch einige gesellschaftliche Forderungen auf, wie wir das Kinderhaben erleichtern können.

"Ohnekind" ist aufwendig recherchiert: Sie waren unter anderem in Japan, in Israel und in Kanada, um wissenschaftliche und persönliche Antworten auf Ihre Situation zu finden.

Ich konnte mit Betroffenen ebenso sprechen wie mit Menschen, die am anderen Ende des Spektrum sind, wenn man das sagen kann. Etwa mit dem kinderreichsten Mann Nordamerikas (Stand 149 bei meinem Besuch). Ich habe mit Forschern gesprochen, die gegen die Unfruchtbarkeit beim Mann ankämpfen (Israel, Deutschland und die USA) und mir ganze Gesellschaften angesehen, in denen es immer weniger Kinder gibt (Japan). Und irgendwann lande ich dann bei einem Lauf durch den Berliner Tiergarten, bei dem ich mir die Frage stelle, was das alles noch für einen Sinn hat...

Das Buch präsentiert Fakten, die gesellschaftlich hochrelevant sind, beispielsweise, dass die Zeugungsfähigkeit unter Männern in manchen Teilen der Welt in den vergangenen drei Jahrzehnten stark abnimmt, auch in Deutschland. Trotzdem ist das kaum bekannt. Wie erklären Sie sich das?

Es gibt keine wirkliche gesellschaftliche Debatte zum Thema. Als vor kurzem eine Metastudie herauskam, die genau das belegt hat, war sie kurz in den Medien, ist dann aber wieder aus dem Blickfeld verschwunden. Es gibt auch viel zu wenig Forschung zum Thema. Erklären kann ich mir das eigentlich nicht, denn es gibt durchaus die Gefahr, dass die Menschheit aufgrund der Lage große Probleme bekommt.

Frauen äußern sich eher zur "biologischen Uhr" und zu unfreiwilliger Kinderlosigkeit. Sie machen es zu einem öffentlichen Thema. Bei den Männern sind Sie hierzulande der Erste. Woran liegt das?

Ich habe mit Betroffenen gesprochen, die in der Zeugungsunfähigkeit das ultimative Tabu beim Mann sehen, den ultimativen Angriff auf die Männlichkeit, gleich hinter mangelnder oder nicht vorhandener Potenz. Und es gibt Kulturen, in denen männliche Sterilität das gesellschaftliche Aus und die ganz persönliche Ächtung bedeuten, weil Kinder – und die Fähigkeit, sie auf diesen Planten zu holen – Zukunft sind.

Ich habe eine tolle Ehefrau, die trotz meiner Diagnose zu mir steht, ich lebe ein gutes Leben und bin, bis auf die Sterilität, völlig gesund. Man weiß nach wie vor nicht einmal, was die Zeugungsunfähigkeit überhaupt ausgelöst hat. Ich habe in diesem Sinne nicht viel zu verlieren und stelle mich gerne vor all diese betroffenen Männer, die bislang keine Stimme haben. Denn klar ist: Wir müssen dieses Problem angehen.